Sonntag, 5. Februar 2017

Trainspotting (nein...nicht der Film)

Auch in diesem Urlaub musste eine Zugfahrt auf dem Programm stehen ;-)

Erst etwas Text, dann die Fotos...

Um der Hektik der Großstadt zu entkommen, planten wir eine Zugfahrt nach Sapa im Norden Vietnams. Dort findet man die durch unzählige, prächtig grün-schimmernde Fotos berühmt gewordenen Reisterrassen. Das wollten wir auch mal mit eigenen Augen sehen. Der Plan sah vor, mit einem Nachtzug hinzufahren, zwei Tage zu bleiben und dann wieder zurück nach Hanoi. Wie das allerdings so oft mit Plänen ist, kommt es erstens anders und zweitens als man denkt. Trotz Onlinebuchung und Vorlauf von drei Tagen war die Fahrt im Orient Express (man gönnt sich ja sonst nix) ausgebucht und den normalen Schlafwagen wollten wir uns nicht geben. Fast ausnahmslos wurde von nächtlichen Besuchen diverser Krabbeltierchen berichtet, vom "Komfort" einer 10cm Schaumstoffmatratze mal abgesehen... Die Notlösung bestand dann aus einer Fahrt mit dem Tageszug: neun Stunden lang der Landschaft zuschauen, die am Fenster vorbeizieht...was fürs Auge halt...

Tickets kann man unkompliziert im Bahnhof mit persönlicher Beratung kaufen, man muss nur verstehen, dass der Ticketschalter ein einfacher Schreibtisch in einer riesigen Halle ist...nichts deutet auf den Verkauf hin und bei Platzproblemen wird man auch einfach mal auf die Seite des Verkäufers gesetzt und wartet, bis die Kunden vor einem fertig bedient wurden. Für wenige Euro haben wir uns dann Tickets für die "Soft Seat" Klasse entschieden, was in etwa der ersten Klasse entsprechen sollte... In Vietnam muss man 30 Minuten vor Abfahrt am Zug sein, was für uns bedeutete, dass wir um kurz nach fünf aus dem Hotel raus mussten und mit dem Taxi an den Bahnhof mussten. Soweit der Plan... (ich verweise nochmal auf die Aussage von weiter oben...) Am Vorabend haben wir alle Check-out Formalitäten im Hotel erledigt und der netten Dame am Empfang auch direkt gesagt, dass wir ein Taxi für viertel nach fünf zum Bahnhof brauchen. Zweimaliges Rückversichern und -fragen brachte immer wieder ein "ja, geht klar" als Antwort.

Nächster Morgen, kurz nach fünf...wir schleichen die spärlich beleuchteten Gänge des Hotels entlang und kommen zur Rezeption... doch dort wo am Vorabend noch die Rezeption war, ist nun eine Garage für ca. 15 Roller und die Nachtwache schläft auf der Couch. Natürlich stand auch kein Taxi vor der Tür und wartete auf uns. Sichtlich verwirrt und verschlafen gab der junge Mann von der Nachtwache zu verstehen, dass er nichts von einem Taxi wüsste...er zückte aber sogleich sein Handy und telefonierte aufgeregt ein paar Minuten und versprach uns dann, dass das Taxi unterwegs sei und wir uns keine Sorgen machen sollten... Irgendwie beruhigte uns das nicht wirklich...Umso größer war dann die Erleichterung, als tatsächlich wenige Minuten später ein Taxi angebraust kam und uns einsammelte und zum Bahnhof brachte...

Unter- oder Überführungen hat man beim Bau des Bahnhofs eingespart - kurzer Blick nach links und rechts - kein Zug der gerade dort fährt wo man das Gleis überqueren will - los gehts ... fünf Gleise sind kein Problem und der Zug stand auch schon am Bahnsteig bereit...

Beim Einstieg wollte man uns noch ein Schlafwagenabteil andrehen, aber ein kurzer Blick hinein reichte, um das Angebot dankend abzulehnen...

Die gebuchte erste Klasse versprühte ein wenig 70er Jahre Kunstledercharme und war im Vergleich zur zweiten Klasse die deutlich bessere Wahl... 

erste Klasse mit Klimaanlage:
 

zweite Klasse mit Deckenventilatoren:


Die Fahrt führte uns zuerst am Rande der Altstadt quasi durch die Wohnzimmer und Küchen der Einwohner. Die Häuser waren so nahe am Gleis gebaut, man könnte durch ein offenes Fenster im Vorbeifahren einen Kaffee vom Tisch klauen...danach ging es über die Long Bien Brücke, von der aus man eine tolle Sicht zurück auf die Stadt hatte...wenn man nicht wie ich die Bilder EXAKT im Rhythmus des Stahlfachwerkes macht und auf fast jedem Bild einen Pfeiler hat. Üppige Vegetation direkt an der Grenze zur Stadt:


Wir fuhren der Sonne entgegen, die sich sichtlich mühte, die morgendliche Dunstglocke der Großstadt zu durchbrechen...von weitem und aus der Gemütlichkeit des knautschigen Kunstledersessels auf Rädern sieht die Stadt fast schon friedlich aus...  (Spoileralarm: das täuscht...)


Die nicht ganz so moderne Technik lässt den Reisenden auch in Genüsse kommen, die man in Deutschland fast nirgends mehr in den vollklimatisierten Zügen findet: man kann die Fenster öffnen und den Kopf auch mal in den Fahrtwind halten:


Ich bin ein paar Mal durch den Zug gelaufen...nach drei Stunden muss man sich auch mal die Beine vertreten... die Einheimischen, die später an den Unterwegshalten noch zugestiegen sind, waren manchmal etwas irritiert, dass sich ein westlicher Reisender in ihren Wagen verirrt...nur die Kinder haben immer freundlich gewunken...

Zurück im Touristenwagen wechselte plötzlich die Temperatur recht schnell von "wir kochen einen Tee ohne Wasserkocher" bis hin zu "den Tee, den wir eben kochen wollten, können wir jetzt am Stiel lutschen" - offensichtlich hat die Klimaanlage einen kleinen Schaden gehabt...

Eine Sache, die mir in Vietnam aufgefallen ist: fast jedes Verkehrsmittel hat seinen eigenen Mechaniker mitgeführt ... löbliche Ausnahme: Flugzeuge...da sind sie vor dem Start wieder ausgestiegen (was einen zu der Frage bewog "steigen die wieder aus, weil sie genau wissen, dass das besser für ihre Gesundheit ist oder steigen die aus, weil die Kiste so gut in Schuss ist?") 

Irgendwann hat auch das Zugpersonal mitbekommen, dass da was faul ist und sie haben ihren Scotty losgeschickt, um das Schiff...äh...die Klimaanlage wieder fit zu machen...  Auch was fürs Auge...


Auf dem Bild ist eine weitere Eigenart der Vietnamesen zu erkennen: sie stellen oder legen prinzipiell IMMER ihre nackten Füße irgendwo drauf...eh man sichs versieht, hat man nen fremden Fuß auf seiner Armlehne neben sich...ein Fest für Fußfetischisten...aber sonst...eher nicht so...

Landschaftlich veränderte sich das Bild je weiter wir nach Norden kamen: Berge tauchten am Horizont auf und bremsten die Wolken aus:



Abschied vom Zug, die chinesische Ingenieurskunst hat uns sicher bis fast ans Ziel gebracht:

 

Der Zug fährt nämlich nicht ganz bis nach Sapa, sondern nur bis Lao Cai, einer kleinen Stadt an der chinesischen Grenze, etwa 30 km vom Ziel entfernt. Die restlichen Kilometer muss man mit dem Bus zurücklegen. Natürlich gibt es auch hier mehrere Anbieter und die Preisverhandlungen sind recht intensiv...am Ende fanden wir uns in einem Minibus wieder, der scheinbar auch gleichzeitig Aufgaben der Post und des Paketdienstes übernimmt: alle paar Meter spring der Kollege des Fahrers aus dem Bus (natürlich während der Bus noch fährt) und sammelt Pakete und Briefe ein und springt mit diesen wieder zurück in den meist immer noch fahrenden Bus. Manchmal springen auch weitere Fahrgäste auf... C. bemerkte passenderweise, dass im Grunde nur noch fehlte, dass wie in einem Computerspiel bei jedem neuen Paket das "Ka-tsching" Geräusch einer Kasse ertönt und eine pixelige "1000" oder ein ebensolches "$" aufsteigt...


Irgendwann ist aber dann auch der größte Minibus mit dem doppelten der zugelassenen Menge an Fahrgästen und Fracht gefüllt, einzig die obligatorischen Ziegen und Hühner fehlten...ich saß neben einem alten Mann, der in einem Plastikbeutel lebende Fische transportierte, meine Füße ruhten auf einer Kiste Töpfe und mein Rucksack verhinderte, dass ich trotz immenser Fliehkräfte auch nur einen Millimeter bewegt wurde... 

...Fliehkräfte?

Das im ersten Beitrag zur Reise beschriebene Verkehrsverhalten ändert sich auch in den Bergen nicht: eine Straße, zwei Spuren, drei Fahrzeuge nebeneinander, vier Meter Sicht bis zur nächsten Kurve, aber trotzdem mit 80 außen überholen und hoffen, dass die Hupe erhört wird und der entgegenkommende 40-Tonner schneller bremst...auch hier besteht wieder das Potenzial, dass Freunde eines geordneten Straßenverkehrs in unkontrollierte Schnappatmung verfallen und verkrampft ihre Fingernägel irgendwo hineinbohren... in der Hoffnung auf sicheren Halt...

Die Kiste mit den Töpfen hatte am Ende der Fahrt einen doch deutlichen Abdruck meines Fußes...da hab ich wohl das ein oder andere Mal mitgebremst...   

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